Anamnese, Diagnose, Therapie – Die Heraus­forderung von Instand­haltungs­projekten im histo­rischen Kon­text

Deutschland ist als Land der Dichter und Denker bekannt. Doch auch für seine zahlreichen bedeutenden Bauwerke, die vor Jahrhunderten erbaut wurden und heute immer noch zahlreiche Touristen anlocken. Ohne professionelle Instandhaltungen wäre die Sicherung dieser kulturell wichtigen Objekte allerdings nicht möglich. Prof. Dr.- Ing. Christoph Duppel lehrt im Fachbereich Architektur und Bauingenieurwesen der Hochschule RheinMain, Wiesbaden das Fachgebiet „Konstruieren im historischen Kontext“. Im Gespräch erzählt er, worauf es dabei ankommt, welche Rolle die richtigen Baustoffe spielen und was ein Besuch beim Arzt mit einem Instand­haltungs­projekt zu tun hat.

Herr Prof. Duppel, Sie sind an der Hochschule RheinMain im Studiengang Baukulturerbe tätig. Was genau ist das und wie sind Sie in diesen Bereich gekommen?

Für mich ist es Herausforderung und Verpflichtung, vorhandene Bauwerke zu erhalten. Da spielt auch die Hochachtung vor den früheren Baumeistern eine große Rolle. Es ist bewundernswert, dass es vor 800 oder 1500 Jahren möglich war, ohne die heutigen technischen Möglichkeiten alles vom Bau bis zum Erhalt zu realisieren. Diese Herausforderung, das baukulturelle Erbe zu erhalten, fasziniert mich jeden Tag aufs Neue.

 

Sie haben auch einen persönlichen Bezug zu unserer heutigen Location?

Genau, wir sind hier in Maulbronn, meiner Heimatstadt. Ich bin in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem heutigen Weltkulturerbe aufgewachsen: dem Kloster Maulbronn. Bereits im Studium und seit dem ersten Tag im Berufsleben hatte ich Kontakt mit historischer Bausubstanz, wodurch sich im Laufe der Jahre eine Passion dafür entwickelt hat, mit dieser historischen Bausubstanz umzugehen.

Warum ist es überhaupt wichtig, Bauwerke zu erhalten?

Unabhängig von Art und Bedeutung des Objektes geht es immer um den Werterhalt und die Ressourcenschonung.  Bei denkmalgeschützten Bauten und Kulturgütern kommt dazu, dass deren Erhalt eine gesellschaftliche Verpflichtung darstellt, die es zu erfüllen gilt.

 

Diese Moral geben Sie sicherlich auch Ihren Studierenden weiter.

Absolut. Der Studiengang Baukulturerbe ist ein Schnittstellenstudiengang, der die Disziplinen Architektur, Ingenieurwesen, Denkmalpflege, Denkmalvermittlung und das Projektmanagement, zusammenbringt. In dieser Kombination ist der Studiengang in Wiesbaden tatsächlich einzigartig. Wir versuchen Studierende auszubilden, die in der Lage sind, ein historisches Ensemble zu managen und deren Erhalt zu sichern. Es ist sicherlich nicht das Ziel des Studienganges, den Studierenden umfassendes Expertenwissen in all den genannten Disziplinen zu vermitteln.  Die Absolventen und Absolventinnen sollen jedoch von jeder Disziplin grundlegende Dinge und Herangehensweisen mitnehmen, damit sie in der Lage sind, die richtigen Experten an einen Tisch zu bringen und mit ihnen interdisziplinär zu kommunizieren.

 

Vor welchen Herausforderungen stehen die Verantwortlichen, die an einen Tisch gebracht werden müssen, beim Instandhalten? 

Die Aufgabenstellungen und Herausforderungen sind von Projekt zu Projekt unterschiedlich. Es ist natürlich etwas anderes, ob es um eine Sanierung von romanischen Klostermauern oder um eine energetische Sanierung eines Gebäude aus den 1950er Jahren geht. Generell gilt: Man muss zu allererst ein Gebäude kennenlernen. Eine klassische Herangehensweise im Denkmalschutz ist ähnlich wie der Ablauf bei einem Arztbesuch: Wir starten mit der Anamnese, gehen dann in die Diagnose und starten anschließend die Therapie. Genau so läuft es bei einem Gebäude auch ab.

„Bei denkmalgeschützten Bauten und Kulturgütern kommt dazu, dass deren Erhalt eine gesellschaftliche Verpflichtung darstellt, die es zu erfüllen gilt.“

Zum Start werden also immer erst zahlreiche Fragen zum jeweiligen Bauwerk gestellt? 

Genau und besonders wichtig ist es, die richtigen Fragen zu stellen. Wir fragen nach der Bau- und Bauwerksgeschichte, ob es Veränderungen oder Schädigungen gab, etwas abgerissen oder neu ergänzt wurde. Wir schauen uns dann den derzeitigen Bestand an. Welche Materialien wurden verwendet? Gibt es Verformungen, Risse oder sonstige Schäden? Erst wenn das alles erfasst ist, können wir in den nächsten Schritt gehen.

 

Ab wann werden dann externe Partner, die die Produkte für ein Instandhaltungsprojekt empfehlen, dazu geholt?

Gerade die Wahl und Rezeptur des Instandsetzungsmörtels kann nur auf Grundlage umfassender Kenntnisse zum vorhandenen Mörtel erfolgen. Insofern sind entsprechende Fachlabore frühzeitig in das Projekt einzubinden. Sie müssen den vorhandenen Mörtel in seiner Materialität analysieren und technisch einordnen. Insbesondere ist auf die Regionalität der Baustoffe zu achten. Wo kamen diese wahrscheinlich her, welche Inhaltsstoffe sind enthalten oder wo sind sie gebrannt worden – all das muss geklärt werden, bevor ein Baustoff für eine Restaurierung empfohlen werden kann.

 

Es gibt also nicht den Universal-Mörtel, der für jedes Projekt genutzt werden kann?

Richtig und das ist besonders wichtig zu beachten: Es gibt keinen Mörtel, der für jedes historische Bauwerk der richtige ist. Was bei dem einen Projekt super funktioniert, kann beim nächsten schon komplett falsch sein. Deswegen muss der verwendete Mörtel immer explizit und individuell auf das jeweilige Bauwerk, häufig sogar auf einzelne Bereiche des Bauwerks, abgestimmt sein. Umso wichtiger ist es, bei jedem historischen Objekt Unternehmen an der Seite zu haben, die die Kompetenz haben, entsprechend zu beraten und die die benötigten Produkte auch anbieten.

„Es gibt keinen Mörtel, der für jedes historische Bauwerk der richtige ist. Was bei dem einen Projekt super funktioniert, kann beim nächsten schon komplett falsch sein.“

Prof. Dr.-Ing. Christoph Duppel, Fachbereich Architektur und Bauingenieurwesen, Hochschule RheinMain, Wiesbaden

Gibt es eine Regel, wie oft eine Restaurierung oder Sanierung bei historischen Objekten sinnvoll ist?

Nein, das kann man nicht pauschal sagen. Generell ist es so, dass die regelmäßige Durchführung von Instandhaltungs- oder kleineren Sanierungsarbeiten äußerst empfehlenswert ist. Dadurch lassen sich kleinere Mängel und Schäden schnell erkennen und beseitigen. Je länger man wartet, desto größer ist die Gefahr, dass der Schaden sehr ausgeprägt ist und die notwendigen Maßnahmen sehr teuer werden.

 

Hat sich der Prozess der Instandhaltungen im Laufe der Jahre verändert?

An der genannten grundsätzlichen Herangehensweise hat sich wenig geändert. Was sich geändert hat, sind z. B. die Methoden der Bestandsuntersuchungen. Da werden hochmoderne Geräte und Methoden eingesetzt, die sehr genaue Ergebnisse liefern.

 

Wahrscheinlich werden die Anforderungen aber auch immer größer?

Absolut. Themen wie Schallschutz, Lärmschutz und Brandschutz sind beispielsweise immer mehr im Fokus. Natürlich auch, weil es vom Gesetzgeber so vorgeschrieben ist. Auch der Wärmeschutz ist ein dominierendes Thema. Da gibt es gerade bei den Baustoffen zahlreiche neue Materialien und Weiterentwicklungen, die sich schon jetzt etabliert haben und von Bauherren auch gewünscht werden.

Welche Bedeutung haben Baustoffe in diesem Zusammenhang?

Mit den falschen Baustoffen können extrem viele Schäden angerichtet werden. Gerade im Bereich der historischen Bauten, wo es oft um die Kombination von Altem und Neuem geht. Bei der Kombination von altem und neuem Mörtel ist besonderes Augenmerk auf die baustofftechnologische Zusammensetzung zu legen. Diese Rezeptur bestimmt die Verträglichkeit zwischen alt und neu, die mechanischen Eigenschaften wie beispielsweise die Festigkeit, aber auch die Farbigkeit und Struktur. Da geht es oft um vermeintliche "Kleinigkeiten", die aber immens wichtig sind, um denkmalgerecht und nachhaltig zu restaurieren.

 

Was sind beispielsweise fatale Fehler?

Ein "Worst Case" ist unter anderem die Kombination von Materialien wie Gips und Zement. Hier kann es dazu kommen, dass das Mauerwerk richtig gesprengt wird. Im äußersten Fall kann das sogar zum Verlust des historischen Objektes führen. Insofern ist es ganz entscheidend zu wissen, was man an historischem Material hat und wie dieses kombiniert werden kann.

„Umso wichtiger ist es, bei jedem historischen Objekt Unternehmen an der Seite zu haben, die die Kompetenz haben, entsprechend zu beraten und die die benötigten Produkte auch anbieten.“

Nach welchen Kriterien wird sich im Endeffekt für einen Baustofflieferanten entschieden?

Gutachter, Naturwissenschaftler oder auch Ingenieure entscheiden, welche Reparatur gemacht wird und welche Materialien dafür genutzt werden. Bei öffentlichen Bauten gibt es dann eine Ausschreibung. Generell ist es, wie ich auch schon erwähnt habe, wichtig, ein Unternehmen zu finden, dass die Kompetenz hat und in der Lage ist entsprechend zu beraten und die gewünschten Produkte anbieten kann. Natürlich gibt es auch viele gute Standard-Produkte, oftmals braucht es aber einen Tick mehr – beispielsweise, wenn es um die Optik geht. Die Unternehmen müssen bereit sein, sich auf jedes einzelne Bauwerk und jede einzelne Aufgabenstellung einzulassen. Und in diesem Zuge brauchen wir immer Partner, die nicht nur große Mengen an Material liefern, sondern auch kleine Chargen. Von diesen Partnern gibt es nicht viele am Markt. 

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